Jahresrückblick 2019: Flüchtlinge gehen zu Hunderten auf einer Straße: Der Faktencheck
Autor: Tom Wannenmacher
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Flüchtlinge in einem Video: Hunderte von Menschen gehen auf einer Straße. Wir zeigen die Hintergründe zu diesem Video, welches 2019 sehr häufig auf Facebook und WhatsApp geteilt wurde.
Das Video ist mit dramatischer Musik unterlegt: Hunderte von Menschen, bei denen es sich um Flüchtlinge handelt, gehen eine Straße entlang. Vor den Menschen fährt ein Polizeiwagen.
Die Person mit der Kamera geht die Gruppe entlang. Man bekommt deutlich zu erkennen, dass es sich um viele Menschen handelt. Dementsprechend alarmierend fallen die Kommentare und Beschreibungen auf Facebook aus. Hier liest man unter anderem:
Bilder aus Slowenien. Wenn das keine Invasion ist,was ist das dann?
Schauen wir daher im Faktencheck auf die Herkunft, das Alter und den Kontext des Videos.
Faktencheck: Herkunft
Laut Beschreibung liest man an dieser Stelle Slowenien. Um das zu prüfen, haben wir im ersten Schritt lediglich das Kennzeichen des Polizeifahrzeugs, hinter dem die Flüchtlinge gehen.
Fahrzeug und Kennzeichen sehen an dieser Stelle nicht nach Slowenien aus. Slowenische Kennzeichen haben als erstes zwei Buchstaben (vergleiche). Dieses Kennzeichen ist jedoch eins aus Bosnien (vergleiche). Ebenso gibt es diese Art der Polizeifahrzeuge in Bosnien (siehe hier).
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Dementsprechend dürfte das Video nicht aus Slowenien, sondern Bosnien stammen. An dieser Stelle (mit dem richtigen Keyword „Bosnien“) ist die Suche recht einfach: Bei den Menschen in dem Video handelt es sich um Flüchtlinge, die in das Camp Vučjak nahe der Stadt Bihać gebracht werden.
Faktencheck Alter
Das Video ist tatsächlich erst vor wenigen Tagen entstanden. Es handelt sich um ein Video, das am 16.10.2019 auch auf dem YouTubekanal der bosnischen Nachrichtenwebseite USKinfo veröffentlicht wurde (siehe hier). Neben diesem Video findet man auch andere Videos, welche die Situation vor Ort zeigen:
Es gibt auch verschiedene Aufnahmen von der Gruppe der Flüchtlinge auf dem Weg in das Lager (siehe hier und hier).
Faktencheck Kontext
Das Camp Vučjak nahe der Stadt Bihać ist nicht unbekannt: Es handelt sich um ein Lager, das eher eine Notunterkunft für Flüchtlinge ist, die keinen Platz in anderen Zentren hatten. Der WDR hat beispielsweise im Juni 2019 darüber geschrieben (siehe hier):
Am 14. Juni 2019 wurden die ersten Flüchtlinge aus der bosnischen Stadt Bihac auf eine zehn Kilometer entfernte ehemalige Müllhalde gebracht. Seitdem leben dort zwischen 600 bis 1200 Menschen auf engstem Raum.
[…]
Alle großen Hilfsorganisationen weigerten sich in Vucjak zu arbeiten, weil es sich um ein illegal von den bosnischen Behörden errichtetes Camp handele, kritisiert der Dortmunder: „Die hygienischen Bedingungen im Camp seien menschenunwürdig. Es gebe nur acht Toiletten für alle Camp-Bewohner. Die Exkremente laufen 5 Meter hinter den Toiletten ins offene Feld“.
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Das Camp Vučjak wurde auf einer ehemaligen Mülldeponie errichtet und die Situation vor Ort ist nicht unbekannt. Spiegel TV hat bereits im Juli 2019 eine Reportage über das Camp veröffentlicht und auch über die Flüchtlinge vor Ort berichtet. Zu der Reportage beschreibt Spiegel TV:
Halb Europa ringt um Moral und Menschlichkeit im Umgang mit Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer. Doch es gibt noch einen anderen Ort, an dem auch Flüchtlinge ankommen und zwar jeden Tag. Im bosnischen Bihac werden die Ankommenden auf einer ehemaligen Müllhalde untergebracht.
Kleine Detailinfo: Der Polizeiwagen in dem Spiegelvideo ist derselbe wie in unserem Eingangsvideo.
Bihać ist eine Zwischenstation auf dem Weg durch Osteuropa nach Mittel- und Westeuropa. Hier sitzen viele Flüchtlinge an der Grenze fest und dementsprechend sind die Lager überfüllt. Das illegal durch die städtischen Behörden errichtete Camp Vučjak ist eine Reaktion auf die überfüllten Lager. Hier leben ca. 7000 Migranten (Angaben variieren leicht), die auf ihre Weiterreise durch Kroatien warten.
Dies wird auch in einem Artikel der NZZ aus dem September 2019 beschrieben. Dort lautet es:
Im westbosnischen Bihac stranden Tausende Migranten auf dem Weg nach Westeuropa. Für die Kleinstadt ist das eine grosse Belastung, zumal der Staat bei der Hilfe versagt.
Für den Winter liegen zudem schlechte Prognosen vor. So berichteten ehrenamtliche Helfer, so wie der Deutsche Dirk Planert (siehe WDR Artikel und auch News.at):
Dirk Planert befürchtet, dass er und das Team auch den Winter im Camp verbringen müssen. „Sollte das der Fall sein, werde ich noch vorher Leichensäcke kaufen.
Härteres Vorgehen gegen Flüchtlinge
Die aktuelle Situation hat sich nochmals verschärft, da der Bürgermeister von Bihać, Šuhret Fazlić, am 16.10.2019 auf einer Pressekonferenz sagte, dass die Stadt ab Montag, (21.10.2019) keine Hilfsleistungen mehr für das Camp in Vučjak erbringen will. Nach eigenen Worten will er die Krise dort eskalieren lassen.
Sein Ziel: Durch diese Eskalation will er den Staat dazu bringen, die Hilfsleistungen für das illegal errichtete Lager zu übernehmen und am Ende den Etat der Stadt Bihać zu entlasten. Mehr zu der Pressekonferenz in diesem Artikel.
Fazit
Das Video ist kein Fake (lediglich die Angabe Slowenien stimmt nicht). Trotz Ankündigungen des Bürgermeisters, die Lage vor Ort eskalieren zu lassen, kamen nach Schätzungen 1500 weitere Flüchtlinge in den letzten Tagen in Vučjak an. Genau diese Menschen sehen wir in dem eingangs beschriebenen Video.
Weitere Quellen und Berichterstattung:
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Derzeit ist das Thema „Flüchtlinge“ wieder vermehrt auf Social Media anzutreffen. Beispiel:
Hinweise: 1) Dieser Inhalt gibt den Stand der Dinge wieder, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuell
war. Die Wiedergabe einzelner Bilder, Screenshots, Einbettungen oder Videosequenzen dient zur
Auseinandersetzung der Sache mit dem Thema.
2) Einzelne Beiträge (keine Faktenchecks) entstand durch den Einsatz von maschineller Hilfe und
wurde vor der Publikation gewissenhaft von der Mimikama-Redaktion kontrolliert. (Begründung)
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